Narrenschiffe des 15. und frühen 16. Jahrhunderts


Sebastian Brants 'Narrenschiff' ist das Gründungsdokument der frühneuzeitlichen Narrenliteratur. Sein "Erfolg" auf dem Buchmarkt ist bemerkenswert. Allein zwischen 1494 und 1500 erschienen in Europa 28 Ausgaben und Bearbeitungen im Druck. Bis ins 17. Jahrhundert blieb die Überlieferung lebendig (siehe Knape/Wilhelmi 2015).

Diese breite und vielgestaltige Überlieferung dokumentiert unsere Übersicht zur Traditio narragonica. Zwölf europäische Ausgaben des 'Narrenschiffs', die noch im 15. oder in den Anfängen des 16. Jahrhunderts erschienen sind, bilden das Textkorpus von "Narragonien digital".


Sebastian Brant selbst hatte zunächst mit dem Basler Verleger Johann Bergmann von Olpe drei Ausgaben des 'Narrenschiffs' (1494 [GW5041], 1495 [GW5046], 1499 [GW5047]) herausgebracht. Zu seinen Lebzeiten erschienen drei weitere Auflagen (mit den Originalholzschnitten) in Basel (1506, 1509) und Straßburg (1512) gedruckt. Bald nach der Erstausgabe vom 11.2.1494 erschienen erste Nachdrucke und Bearbeitungen. Noch 1494 kamen unautorisierte Nachdrucke in Nürnberg [GW5042], Augsburg [GW5045] und Reutlingen [GW5043, GW5044] auf den Markt. Wenig später wurde ein inhaltlich erweitertes 'Neues Narrenschiff' in Straßburg [GW5048] publiziert (und danach mehrfach neu aufgelegt). Eine niederdeutsche Bearbeitung [GW5053] erschien 1497 in Lübeck.

Kap. 4: Der Modenarr
Für das europäische Fortwirken des 'Narrenschiffs' war entscheidend, dass Brant durch seinen ehemaligen Schüler Jakob Locher eine lateinische Bearbeitung anfertigen ließ. Diese 'Stultifera navis' erschien bei Bergmann von Olpe in Basel zunächst in drei Ausgaben (1.3.1497 [GW5054], 1.8.1497 [GW5061], 1.3.1498 [GW5062]). Bis 1572 kamen insgesamt 11 Ausgaben auf den Büchermarkt.

Die 'Stultifera navis' war ihrerseits Vorlage für französische Adaptationen: für die Versbearbeitung des Pierre de Rivière [GW5058], die 1497 in Paris erschien, für die Bearbeitung von Jean Drouyn (Lyon 1498/9) und für die bei Geoffroy de Marnef gedruckte Pariser Prosaversion ([GW5065], 1499). Ebenfalls u.a. auf das lateinische 'Narrenschiff' gehen die niederländische Bearbeitung ([GW5066], Paris 1500) sowie die beiden englischen Versionen von Alexander Barclay und Henry Watson (beide London 1509) zurück.

Ein Beispiel für das europäische Fortwirken des 'Narrenschiffs' ist der berühmte 'Büchernarr' (Kap. 1) in europäischen Ausgaben:

Kap. 4: Der Modenarr
Die Überlieferung des 'Narrenschiffs' wird durch die neue Werk- und Forschungsbibliographie von J. Knape und T. Wilhelmi vollständig dokumentiert. Sein Fortwirken bis ins 17. Jahrhundert hat in der jüngeren Forschung erneut Aufmerksamkeit gefunden. Für einen ersten Überblick seien empfohlen:

  • Knape, Joachim; Wilhelmi, Thomas: Sebastian Brant Bibliographie. Bd. 1: Werke und Überlieferungen. Bd. 2: Forschungsliteratur bis 2016. Wiesbaden 2015, 2018 (Gratia 53, 63). [Verlagsanzeige] Siehe hieraus unsere Übersicht zur Traditio narragonica

  • Barbier, Fréderic: Histoire d'un livre: la 'Nef des fous' de Sébastien Brant, Paris 2018. [Verlagsanzeige]
  • Burrichter, Brigitte: Sebastian Brants 'Narrenschiff' und seine europäische Rezeption im 15. Jahrhundert. In: Bernd Bastert, Sieglinde Hartmann (Hg.), Romania und Germania. Kulturelle und literarische Austauschprozesse in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden 2019, S. 311-323. [Digitalisat]
  • Burrichter, Brigitte: Sebastian Brant und Jakob Locher in den französischen ‚Narrenschiff‘-Übertragungen. In: Lysander Büchli, Alyssa Steiner, Tina Terrahe (Hrsg.): Sebastian Brant, das ‚Narrenschiff‘ und der frühe Buchdruck in Basel. Zum 500. Todestag eines humanistischen Gelehrten, Basel 2023, S. 293-311. [Digitalisat]
  • Hamm, Joachim: Intermediale Varianz. Sebastian Brants 'Narrenschiff' in deutschen Ausgaben des 15. Jahrhunderts. In: Überlieferungsgeschichte transdisziplinär. Neue Perspektiven auf ein germanistisches Forschungsparadigma. Hg. v. Dorothea Klein. Wiesbaden 2016, S. 223-240. [Digitalisat]
  • Hamm, Joachim: Narragonia latine facta. Jakob Locher und die 'Stultifera navis' (1497). In: Sebastian Brant, das 'Narrenschiff' und der frühe Buchdruck in Basel. Zum 500. Todestag eines humanistischen Gelehrten. Hg. von Lysander Büchli, Alyssa Steiner und Tina Terrahe. Basel 2023, S. 261-291 [Digitalisat]
  • Lemmer, Manfred: Studien zur Wirkung von Sebastian Brants 'Narrenschiff'. Habilitationsschrift (masch.) Halle/S. 1981. [Digitalisat]
  • Metzger-Rambach, Anne-Laure: „Le texte emprunté“. Étude comparée du 'Narrenschiff' de Sebastian Brant et de ses adaptations, 1494-1509. Paris 2008. [Verlagsanzeige]